Freitag, 5. Juni 2009

So war die Seefahrt im Zeitalter der Entdeckungen wirklich


Diese Woche traf ich in der Lissaboner Altstadt ein deutsches Touristenehepaar aus Neuss, welches mich nach dem Denkmal der Entdeckungen (Monumento dos Descobrimentos) fragte und mich bat, ihnen den Weg zu diesem zu erklären.
Dieses imposante Bauwerk, für mich persönlich einer der schönsten der Hauptstadt, ist 1960, anlässlich des 500. Todesjahres von Heinrich dem Seefahrer (Infante Dom Henrique, o Navegador) erbaut worden.
Es stellt einen gigantischen, symbolischen Schiffsbug dar, der auf das offene Meer hinausweist, und auf dem sich überlebensgroße Figuren aus dem Entdeckungszeitalter versammelt haben.
Auf eine gewissen Art und Weise glorifiziert dieses Denkmal die Entdeckungsfahrten Portugals und natürlich auch die Seefahrt an sich.
Aber die Seefahrt, nachdem was man heute weiß, war im ausgehenden 15. Jahrhundert alles andere als glorreich oder gar romantisch. Im Gegenteil! Heute weiß man dass eine Reise auf See damals sehr unsicher, ungemütlich und dreckig war.
Laut einem Bericht des portugiesischen Marineministeriums aus dem Jahre 1992, ging im 16. und 17. Jahrhundert, durchschnittlich jedes dritte Schiff, das sich hier von Lissabon auf den Weg in die Kolonien machte, unter!
40% der Besatzung starb auf diesen Reisen, und erreichte so nie wieder heimatlichen Boden. Sie wurde Opfer, nicht nur von Schiffsuntergängen, sondern auch von Piraten, von Krankheiten und Überfällen von Eingeborenen.
In diesem Ambiente von Not, Leid, Entbehrung und Gewalt fand ein ständiger Überlebenskampf statt. Wer sozial besser gestellt war, hatte auch bessere Überlebenschancen. Wer sozial schlecht gestellt war, hatte so gut wie keine Überlebenschancen. So einfach war das damals!
Laut den Reiseberichten von Damião de Góis, der im 16. Jahrhundert regen Schriftverkehr mit Erasmus von Rotterdam und Martin Luther hatte, beförderte eine portugiesische Karavelle auf ihrer Fahrt von Portugal nach Brasilien, Indien oder China bis zu 500 Personen.

Es ist heute wissenschaftlich erwiesen (und hier übersetze ich frei aus dem Buch des Historikers Fábio Pestana Ramos, von der Universität São Paulo), dass

- im Durchschnitt die Passagiere und Matrosen auf einer Karavelle nur 50cm² Platz hatten. Nur dem Kapitän und dem Steuermann standen eine Kabine von durchschnittlich 2m² zur Verfügung. Offizieren, Edelleuten und Kirchenmännern standen, auch wenn man es kaum glauben mag, ebenfalls nur knapp über 50cm² zu.

- Passagiere und Besatzung teilten sich Schlaf- und Essensbereiche. Wer es sich leisten konnte schlief auf Hängematten. Aber der größte Teil, wie die meisten Matrosen, die noch halbe Kinder waren, schliefen auf dem Plankenboden. Zu essen gab es für alle das gleiche: vorwiegend Zwieback, Oliven, Lupinenkerne, getrocknetes Obst und Bacalhau, den gesalzenen Stockfisch. Heute weiß man, das die Tatsache das es auf portugiesischen Schiffen mehr gesalzenen Fisch zu essen gab, als auf den Schiffen anderer Nationen, wo es hauptsächlich gepökeltes Fleisch als Verpflegung gab, dazu geführt hat, das portugiesische Seeleute weniger an Skorbut litten, als die Seefahrer anderer Länder.

- die hygienischen Verhältnisse an Bord waren katastrophal, selbst für die damalige Zeit. An Baden war nicht zu denken, und so waren selbst Offiziere, Edelleute und Mönche voller Läuse, Wanzen und Flöhe. Wer seine Notdurft verrichten musste hatte zwei Möglichkeiten. Entweder er war reich und nannte einen Nachttopf sein Eigen (der dann über Bord ausgeleert wurde) oder er war nicht reich, und musste sich an der Reling direkt ins Wasser entleeren. Viele gingen dabei, vor allem bei starkem Wellengang, über Bord und verloren ihr Leben.

- da praktisch nie ein Arzt an Bord war, waren Passagiere und Besatzungsmitglieder bei ernsthaften Erkrankungen dem Tode geweiht. Selbst simple Krankheiten, wie einfache Erkältungen, Masern und Windpocken breiteten sich blitzschnell zu Epidemien aus.

- der schlimmste Feind eines Kapitäns auf einer Überfahrt über den Atlantik oder Pazifik, war die Langeweile der Besatzung und Passagiere. Durch zu viel Freizeit und Nichtstun, brachen regelmäßig Revolten und Meuterein aus. Deshalb fanden auf portugiesischen Schiffen fast täglich Prozessionen, Gottesdienste und Kirchenspiele statt.

- im Durchschnitt war das Verhältnis Männer/Frauen 50 zu 1. Die Frauen die sich an Bord befanden, waren meistens Passagiere oder Prostituierte. Sie wurden skrupellos von den Männern an Bord sexuell belästigt, auch wenn sie verheiratet waren. Da so wenige Frauen an diesen Überfahrten teilnahmen und die Männer monatelang sich selbst überlassen waren, war die Homosexuellenrate an Bord sehr hoch.

- der wichtigste Mann an Bord eines portugiesischen Schiffes war nicht der Kapitän sondern der Steuermann (laut königlichem Dekret von 1498 waren in der portugiesischen Marine Kapitän und Steuermann gleichberechtigt, was damals einzigartig auf der Welt war). Der Kapitän hatte die „autoritäre“ Rolle, aber der Steuermann war verantwortlich für das sichere Erreichen des Zielortes.

Aber obwohl so viele Karavellen und Naus in den sieben Weltmeeren untergingen, und fast die Hälfte der Besatzung ihr Leben auf dem Wasser lies, lohnten sich solche Überseereisen finanziell fast immer. Denn der Ertrag den die vollbeladenen Segelschiffe nach Portugal brachten war enorm.
Kirchen, Klöster und Paläste, überall in Portugal, zeugen noch heute von diesem immensen Reichtum.
Erwähnenswert sei vielleicht noch die Tatsache, dass die portugiesische Marine, trotz all der oben beschriebenen schrecklichen Tatsachen, den Ruf einer der besten Marinen der damaligen Zeit hatte.

Wenn ihnen also diese Berichte von damals so schrecklich erscheinen, stellen sie sich vor, wie es erst auf den Schiffen anderer Nationen zugegangen sein muss.

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