Mittwoch, 19. Februar 2014

Brief von João Tordo an seinen Vater Fernando Tordo


In seinem Blog www.joaotordo.blogs.sapo.pt hat der portugiesische Schriftsteller João Tordo heute einen Brief veröffentlicht, welches er über seinen Vater, den Liedermacher und Sänger Fernando Tordo geschrieben hat.
In diesem offenen Brief an seinen Vater Fernando, der gestern im Alter von 65 Jahren nach Brasilien ausgewandert ist weil er als Künstler hier in Portugal keine Möglichkeit mehr sah um zu überleben, schreibt João Tordo in sehr bewegenden Worten über den Entschluss seines Vaters auszuwandern und seinen Abschied von Portugal.

Dieser Brief hat mich persönlich sehr bewegt, weil er mit sehr einfachen Worten das Leid und den Schmerz beschreibt, welches viele Menschen in den letzten Monaten und Jahren hier in Portugal mitmachen müssen.

Anbei eine Übersetzung des Briefes von Tordo Junior an seinen Vater Fernando. Leider war mir eine wortwörtliche Übersetzung des Textes nicht möglich, da viele Ausdrücke ins Deutsche einfach nicht zu übersetzen wären.
Ich habe aber den Inhalt des Briefes sehr wohl sinngemäß übersetzen können.


Brief von João Tordo an seinen Vater Fernando Tordo:

Gestern ging mein Vater fort. Er ist gegangen um nicht wiederzukommen; er ist nach Recife ausgewandert und hat das Land verlassen wo er geboren wurde und wo er 65 Jahre lang lebte.

Er bezog hier eine staatliche Rente von etwas mehr als 200 Euro, und zuzüglich noch eine kleine Rente von der portugiesischen Autorengesellschaft. Beide mickrigen Renten ermöglichten es ihm das Auto zu unterhalten, mit dem er in Lissabon und im ganzen Land unterwegs war um Konzerte zu geben.
Er spielte vor vollen Konzertsälen, vor halbvollen, und manchmal waren die Säle auch fast leer; aber er hatte immer ein Lächeln auf den Lippen, war stets gut gelaunt (schließlich ist Gitarrespielen sein Job) und ließ sich erst jetzt zum Schluss von den Kasseneinnahmen beeinflussen.

Als ich mich gestern zum schlafen hinlegte, war ich traurig.
Und doch fühlte ich mich, zur gleichen Zeit, glücklich.
Traurig war ich, weil es eigentlich die Kinder normalerweise sind die auswandern und nicht ihre Eltern (aber leider hat sich hier in Portugal in den letzten Jahren das ganze System gewandelt).
Glücklich war ich, weil ich seinen Mut bewundere nochmals in einem Land das er kaum kennt (und wo ihn kaum einer kennt) von vorne anfangen zu wollen, voller Neugier auf die vielen neuen Dinge die ihn dort erwarten.

Dies alles sind persönliche Dinge, die kaum einen interessieren, ausgenommen uns, die Familie des Senhor Tordo.
Ob man seine Musik mag oder nicht, Fakt ist, das mein Vater hierzulande mit den Jahren eine gewisse Berühmtheit erlangt hat, und deshalb hat er über facebook, wo er regelmäßig Kontakt zu seinen Freunden und Fans hat, seine Abreise hier aus Portugal angekündigt.
Die Kommentare auf diese seine Ankündigung auf facebook, die ich eigentlich gar nicht lesen wollte, sind der eigentliche Grund weshalb ich nun diesen Brief schreibe.

Viele haben sich mit ermutigenden Worten von meinem (kommunistischen) Vater verabschiedet. Andere wiederum haben ihn geraten nach Cuba zu ziehen. Oder nach Nordkorea. Wieder andere meinten, er hätte schon längst auswandern sollen. Sie haben ihn auf das Übelste beleidigt. Sie machen ihn für eine Politik verantwortlich, von der er sich schon seit vielen Jahrzehnten distanziert hat (als er noch politisch aktiv war, hat er lediglich auf seine bescheidene Art mit anderen Musikern, Autoren, Filmemachern und Künstlern, für die Befreiung des Volkes (vom Faschismus) gekämpft).
Auf facebook fragen sie ihn nun was er in Brasilien machen wird:
ob er zukünftig Toiletten und Küchen sauber machen wird? Ob er nun vorhat seinen goldenen Ruhestand zu genießen? Ob er sich nun ins gemachte Nest legen wird, dem ihm seine (kommunistischen) Freunde bereitet haben. Einer bat ihn sogar, vielleicht ironisch, „seine Rente dazulassen“, die schon erwähnten erbärmlichen 200 Euro.

Ich verstehe die menschliche Wut. Ich habe sie immer verstanden; sie ist natürlich, erst recht wenn wir leben so wie wir leben, wo wir leben und mit welchen Schwierigkeiten wir leben. Was ich allerdings nicht verstehe ist der Hass. Mein Vater, der sicherlich auch seine Fehler hat, so wie jeder von uns – und die Verfasser dieser ganzen Hasstiraden haben sie sicherlich auch – hat lediglich das getan, was er seiner Meinung hat tun müssen.

Ob es einem passt oder nicht, mein Vater ist ein Teil der Musikgeschichte Portugals. Alleine oder mit dem Liedertexter Ary dos Santos, schrieb er für einige der berühmtesten Stimmen Portugals – Carminho, Carlos do Carmo, Mariza und noch viele andere mehr – viele berühmte Titel der portugiesischen Volksmusik.

Egal was viele von ihm als Menschen halten, nur wenige kennen seine Persönlichkeit wirklich.
Ich kenne ihn: er ist ein sympathischer, humorvoller Typ, der mit sich im Reinen ist, und der gestern einfach die Koffer gepackt hat, seine Gitarre genommen hat, und mit 65 Jahren, weggegangen ist.
Früher oder später werden alle die, die ihn nach Kuba oder Nordkorea schicken wollten, die ihm tatsächlich empfohlen haben Toiletten oder Küchen saubermachen, alle die werden eines Tages sehen das sie die eigentlichen Verlierer sind, weil sie nicht wie er den Mut hatten zu gehen und in diesem Land geblieben sind: in diesem Land wo es nichts mehr außer Reality Shows, Telenovelas und Scham gibt.

Unsere Regierung behauptet jetzt andauernd die Krise wäre vorbei, vergisst aber gleichzeitig zu erwähnen, was alles andere verloren gegangen ist.
Das erste was verloren ging ist unsere Kultur, das Erbe unserer Nation.
Das zweite was verloren ging ist das Glück, das in den Gesichtern der Menschen auf der Straße nicht mehr zu finden ist – es gibt keine glücklichen Menschen mehr hier in Portugal.
Das dritte was wir verloren haben ist die Hoffnung.
Und das vierte was dieses Land verloren hat, sind die tausenden Menschen, wie meinen Vater, die sich weigern weiterhin in einem Land zu leben das von Politikern regiert wird, die alles daran setzen es zu Grunde zu richten – einem Land das er und tausende Menschen wie er versucht haben aufzubauen: ein Land das einmal besser für ihre Kinder und Enkelkinder sein sollte.
Sie sind Gescheitert; sie haben wirklich gedacht sie könnten etwas ändern.

Aber vielleicht wollen wir ja keine Änderung. Vielleicht wollen wir dieses Elend, lassen das ganze zu, lassen es uns einfach gefallen.
Soweit ist es schon gekommen, dass einige von ihrem gemütlichen Sofa aus einen beleidigen, nur weil er hier keine Arbeit findet, – und weil er mit 65 nicht als Geist oder als Bettler enden wollte – den Koffer und die Gitarre genommen hat und einfach gegangen ist.

Als ich mich gestern hingelegt habe, habe ich mir meinen Vater im Flugzeug vorgestellt, alleine, wie er von der Zukunft geträumt hat; gut gelaunt, mit einem Lächeln auf den Lippen.
Ich werde ihn sehr vermissen, ich gebe es zu.
Es tut mir weh zu wissen, dass mein Vater mich gestern verlassen hat.


Hier der Originaltext der Abschiedsbriefes den João Tordo über seinen Vater Fernando geschrieben hat:

Ontem, o meu pai foi-se embora. Não vem e já volta; emigrou para o Recife e deixou este país, onde nasceu e onde viveu durante 65 anos.

A sua reforma seria, por cá, de duzentos e poucos euros, mais uma pequena reforma da Sociedade Portuguesa de Autores que tem servido, durante os últimos anos, para pagar o carro onde se deslocava por Lisboa e para os concertos que foi dando pelo país. Nesses concertos teve salas cheias, meio cheias e, por vezes, quase vazias; fê-lo sempre (era o seu trabalho) com um sorriso nos lábios e boa disposição, ganhando à bilheteira.

Ontem, quando me deitei, senti-me triste. E, ao mesmo tempo, senti-me feliz. Triste, porque o mais normal é que os filhos emigrem e não os pais (mas talvez Portugal tenha sido capaz, nos últimos anos, de conseguiu baralhar essa tendência). Feliz, porque admiro-lhe a coragem de começar outra vez num país que quase desconhece (e onde quase o desconhecem), partindo animado pelas coisas novas que irá encontrar.

Tudo isto são coisas pessoais que não interessam a ninguém, excepto à família do senhor Tordo. Acontece que o meu pai, quer se goste ou não da música que fez, foi uma figura conhecida desde muito novo e, portanto, a sua partida, que ele se limitou a anunciar no Facebook, onde mantinha contacto regular com os amigos e admiradores, acabou por se tornar mediática. E é essa a razão pela qual escrevo: porque, quase sem o querer, li alguns dos comentários à sua partida.

Muita gente se despediu com palavras de encorajamento. Outros, contudo, mandaram-no para Cuba. Ou para a Coreia do Norte. Ou disseram que já devia ter emigrado há muito. Que só faz falta quem cá está. Chamam-lhe palavrões dos duros. Associam-no à política, de que se dissociou activamente há décadas (enquanto lá esteve contribuiu, à sua modesta maneira, com outros músicos, escritores, cineastas e artistas, para a libertação de um povo). E perguntaram o que iria fazer: limpar WC e cozinhas? Usufruir da reforma dourada? Agarrar um "tacho" proporcionado pelos "amiguinhos"? Houve até um que, com ironia insuspeita, lhe pediu que "deixasse cá a reforma". Os duzentos e tal euros.

Eu entendo o desamor. Sempre o entendi; é natural, ainda mais natural quando vivemos como vivemos e onde vivemos e com as dificuldades por que passamos. O que eu não entendo é o ódio. O meu pai, que é uma pessoa cheia de defeitos como todos nós – e como todos os autores destes singelos insultos –, fez aquilo que lhe restava fazer.

Quer se queira, quer não, ele faz parte da história da música em Portugal. Sozinho, ou com Ary dos Santos, ou para algumas das vozes mais apreciadas do público de hoje – Carminho, Carlos do Carmo, Mariza, são incontáveis –, fez alguns dos temas que irão perdurar enquanto nos for permitido ouvir música.

Pouco importa quem é o homem; isso fica reservado para a intimidade de quem o conhece. Eu conheço-o: é um tipo simpático e cheio de humor, que está bem com a vida e que, ontem, partiu com uma mala às costas e uma guitarra na mão, aos 65 anos, cansado deste país onde, mais cedo do que tarde, aqueles que o mandam para Cuba, a Coreia do Norte ou limpar WC e cozinhas encontrarão, finalmente, a terra prometida: um lugar onde nada restará senão os reality shows da televisão, as telenovelas e a vergonha.

Os nossos governantes têm-se preparado para anunciar, contentíssimos, que a crise acabou, esquecendo-se de dizer tudo o que acabou com ela. A primeira coisa foi a cultura, que é o património de um país. A segunda foi a felicidade, que está ausente dos rostos de quem anda na rua todos os dias. A terceira foi a esperança. E a quarta foi o meu pai, e outros como ele, que se recusam a ser governados por gente que fez tudo para dar cabo deste país – do país que ele, e milhões de pessoas como ele, cheias de defeitos, quiseram construir: um país melhor para os filhos e para os netos. Fracassaram nesse propósito; enganaram-se ao pensarem que podíamos mudar.

Não queremos mudar. Queremos esta miséria, admitimo-la, deixamos passar. E alguns de nós até aí estão para insultar, do conforto dos seus sofás, quem, por não ter trabalho aqui – e precisar de trabalhar para, aos 65 anos, não se transformar num fantasma ou num pedinte –, pegou nas malas e numa guitarra e se foi embora.

Ontem, ao deitar-me, imaginei-o dentro do avião, sozinho, a sonhar com o futuro; bem-disposto, com um sorriso nos lábios. Eu vou ter muitas saudades dele, mas sou suspeito. Dói-me saber que, ontem, o meu pai se foi embora.

1 Kommentar:

  1. In mehrfacher Hinischt schmerzhaft beeindruckend:

    - der schmerzhafte, aber ungebochen aufrechte Gang eines Individuums,

    - die empathische Skizzierung des schmerzhaften Verlusts der portugiesichen "Volksseele"

    -die schmerzhafte Verneigung in Richtung des Einen, der schmerzhafte Bändigungsversuch der Anderen

    - und zugleich die pathetische Befürchtung, niemals in der Lage zu sein, dem Einen ebenbürtig aufrecht folgen zu können.

    Respekt.

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